Was ist das markanteste Kennzeichen unserer Gegenwartskultur? Sie ist voller Technologien, die keiner braucht, aber jeder will. Neuestes Beispiel: der E-Scooter.
Aktuelle Umfragen haben ergeben, dass die Deutschen E-Scooter im Straßenverkehr zwar mehrheitlich für gefährlich halten, aber trotzdem gern damit fahren möchten. Dasselbe würde vermutlich für Rollschuhe mit Raketenantrieb oder das Batmobil gelten – nur um die Absurdität mal zu veranschaulichen. Fakt ist, der Bundesrat hat am vergangenen Freitag grünes Licht für den Roller-Rollout gegeben, und damit kann der Spaß scheinbar schon im kommenden Sommer beginnen. Unter folgenden Rahmenbedingungen: Maximal 20 km/h, Mindestalter 14 Jahre, Radwegpflicht, Versicherungspflicht, keine Helm- oder Führerscheinpflicht.
Ich will zwar ungern wie mein eigener Urgroßvater klingen, aber wenn ich mir den Radweg künftig mit 14-jährigen Lümmeln auf frisierten Tretrollern teilen muss, oder mit pendelnden Schönwetterfahrern im Greentech-Rausch, werde ich wahrscheinlich als notorischer Schreihals enden. Was soll uns der E-Scooter (abgesehen von Unfällen und Youtube-Videos) eigentlich bringen? Weniger Autoverkehr, check. Mehr Klimaschutz, check. Neue Schnittstellen im ÖPNV, check. Okay, dann lassen wir mal ein paar Seifenblasen platzen. Erstens: Nicht Autofahrer werden auf den Stromroller umsteigen, sondern Fußgänger – also die bislang unkompliziertesten aller Verkehrsteilnehmer. Zweitens: Für E-Autos werden Ökostromtarife abgeschlossen, für E-Scooter wohl kaum. Und drittens: Die Städte sind voll. Verstopfte Straßen, ächzende Busse und Bahnen, Blutfehden zwischen Auto- und Radfahrern, sogar die Fußgängerzone wird samstags zum Krisengebiet. Das Letzte, was der brüchige Frieden überfüllter Metropolen braucht, ist ein weiteres Verkehrsmittel ohne Entschleunigungspotenzial.
jogi54 meint
Im Gegensatz zu einem Fahrrad/Pedelec kann ich einen E-Scooter bequem und ohne Zusatzkosten in der Bahn, im ÖNV oder auch (Elektro-)Auto und auch ins Hotelzimmer mitnehmen. [Elektroauto = 2km vom Arbeitsort laden und mit dem E-Scooter zur/von der Arbeit kommen – dadurch wird nebenbei ein Elektroauto akzeptabler].
Vor einem Jahr wäre ein E-Scooter für mich eine brauchbare Alternative gewesen, vom Hotel zur Arbeit und zurück (<5km) zu kommen, ohne mein Auto bemühen zu müssen. Jetzt sind es noch 10 1/2 Wochen bis zur Rente – zu spät. (Strecke: Golfplatz Budenheim nach Kraftwerkallee Mainz – kaum ernsthafte Konfliktmöglichkeiten mit Fußgängern, Fahrradfahrern oder Autos).
Typisch deutsch, siehst du leider nur Probleme, sogar da, wo ich z.B. ein knapp 10l/100km auf Kurzstrecke schluckender Diesel durch einen E-Scooter ersetzen würde/könnte, der – oh weh – Strom nach dem deutschen Energiemix in sehr geringen Mengen verbraucht, noch als sehr kritisch ansiehst.
Solche Artikel helfen uns überhaupt nicht bei der Energiewende weiter.
LG jogi
Björn Katz meint
Lieber Jogi,
ganz klar: Du brauchst ein Klapprad. Ist günstiger, leichter, unaufgeregter, klimafreundlicher und macht auch im Ruhestand noch Spaß.