von Björn Katz
Was sind dynamische Stromtarife und wie funktionieren sie? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein? Worin liegen die Vorteile, aber auch mögliche Risiken? Und vor allem: Lohnt sich ein dynamischer Stromtarif schon heute für alle Verbraucher? Wir klären Sie auf.
Dynamische Stromtarife, auch als flexible oder zeitvariable Tarife bekannt, sind ein innovatives Abrechnungsmodell, das die zunehmenden Schwankungen am Energiemarkt einpreist. Entsprechende Stromverträge berücksichtigen den tatsächlichen Verbrauch und die Verfügbarkeit von Strom zu tagesaktuellen Preisen - anders als es konventionelle Tarife tun.
Dynamische Stromtarife sind unmittelbar an die Börsenstrompreise gekoppelt. Deshalb bieten sie Haushalten und Unternehmen die Möglichkeit, direkt von Preisschwankungen zu profitieren, indem sie ihre Verbrauchsgewohnheiten anpassen und Strom immer dann nutzen, wenn er am günstigsten ist.
Weil zeitvariable Stromtarife ein noch junges und insbesondere unter Privathaushalten bislang wenig verbreitetes Konzept sind, stellen sich Verbrauchern zahlreiche Fragen. Wir geben die wichtigsten Antworten.
Dynamische Stromtarife haben keinen festen Arbeitspreis in Cent pro Kilowattstunde, sondern sind an die fortlaufend schwankenden Preise der Strombörse gekoppelt. Dies ist möglich, weil entsprechende Anbieter den Strom tagesaktuell am sogenannten Spotmarkt erwerben und auf den Terminhandel verzichten, der längere Laufzeiten mit sich bringt.
Am Sportmarkt wird der Strom für den jeweiligen Folgetag zu sich stündlich ändernden Preisen gehandelt. Damit kennen Energieversorger einen Tag vor der Stromlieferung die Preise und können diese an ihre Kunden weitergeben. Für Verbraucher ändern sich die Strompreise also stündlich - und das jeden Tag aufs Neue. Hierbei gilt grundsätzlich: In Phasen mit viel Wind und Sonne und dementsprechend hohen Ökostromerträgen können die Strompreise sehr niedrig ausfallen, zu bedeckten, windstillen Zeiten wiederum höher.
Zusätzlich zum zeitvariablen Börsenpreis müssen auch in dynamischen Stromtarifen Steuern, Abgaben, Umlagen und Netzentgelte sowie eine monatliche Grundgebühr bezahlt werden. Deshalb fallen für Verbraucher selbst bei negativen Börsenstrompreisen stets gewisse Basiskosten an.
Viele Anbieter dynamischer Stromtarife versprechen ihren Kunden, dass sie ihre Stromrechnung durch zeitvariable Preise um etwa ein Drittel reduzieren können. Darüber hinaus trägt das Modell indirekt, aber durchaus wirkungsvoll zur Verbesserung der persönlichen Klimabilanz bei, denn die Börsenpreise für Strom sinken vor allem dann, wenn besonders viel Strom aus erneuerbaren Energien ins Netz gespeist wird. Übrigens: Ab 2025 besteht für Stromanbieter die Verpflichtung, auch dynamische Tarife anzubieten.
Dynamische Stromtarife sind preislich nicht zur Gänze variabel. Im Gegenteil: Die meisten Preisbestandteile sind, analog zu konventionellen Tarifen, statisch. Knapp 60 Prozent des Strompreises entfallen auch bei dynamischen Tarifen auf staatliche Umlagen und Abgaben sowie Netzentgelte. Das kostenmäßig entscheidendste Element - der verbrauchsabhängige Arbeitspreis pro Kilowattstunde - ist jedoch flexibel.
Der Hauptvorteil dynamischer Stromtarife liegt in der potenziellen Kostenersparnis für Verbraucher. Durch das gezielte Verlagern hoher Stromverbräuche in Zeiten niedriger Preise, beispielsweise in die Nacht oder in wind- und sonnenreiche Phasen, können Haushalte ihre Stromkosten beträchtlich senken.
Wer Tiefpreiszeiten effektiv ausnutzt, zahlt in vielen Fällen rund ein Drittel weniger für die Kilowattstunde Strom. Gegenüber der örtlichen Grundversorgung kann die Ersparnis sogar bei etwa der Hälfte liegen.
Dynamische Tarife fördern zudem die Integration erneuerbarer Energien, weil Verbraucher durch preisliche Anreize ermutigt werden, Strom immer dann zu nutzen, wenn ein Überangebot aus regenerativer Erzeugung besteht. Das entlastet zugleich die Stromnetze. In der Regel handelt es sich bei entsprechenden Tarifangeboten ohnehin um reine Ökostromtarife.
Die größte Herausforderung bei der Nutzung dynamischer Stromtarife liegt in der Notwendigkeit, den eigenen Stromverbrauch aktiv zu managen. Nutzer müssen die Preisschwankungen am Strommarkt verfolgen und in der Lage sein, ihren Verbrauch entsprechend anzupassen. Das erfordert einen gewissen Aufwand und die Umstellung von Lebensgewohnheiten.
Ein zusätzliche Problematik besteht in der Risikoverlagerung. In konventionellen Stromlieferverträgen zu festen Preisen und längeren Laufzeiten werden Schwankungen am Energiemarkt zunächst von den Stromversorgern abgefangen und erst mittel- bis langfristig an die Endkunden weitergegeben. Das gilt für sinkende Strompreise, aber eben auch für steigende. Diese werden in dynamischen Tarifen unmittelbar eingepreist, wodurch Verbraucher neben Sparpotenzialen stets auch gewisse Kostenrisiken tragen.
Dynamische Stromtarife eignen sich besonders für Haushalte mit erhöhtem Strombedarf. Wird beispielsweise eine Wärmepumpe zum Heizen genutzt oder das eigene E-Auto vorrangig an der heimischen Wallbox geladen, dann können Verbraucher mit dynamischen Tarifen deutlich sparen. Auch und vor allem dann, wenn Sie über eine PV-Anlage mit Stromspeicher verfügen und Ihren Verbrauch ohnehin schon aktiv und flexibel gestalten. Denn Letzteres ist entscheidend: Nur wenn Sie in der Lage sind, einen signifikanten Teil ihres Stromverbrauchs gezielt in Zeiten niedriger Preise zu verschieben, können Sie vom Kostenvorteil profitieren.
Ein dynamischer Tarif lohnt sich in der Regel nicht für Durchschnittshaushalte, deren größte Stromverbraucher eine Waschmaschine, ein Kühlschrank und ein Router sind. Das wird sich durch die fortschreitende Elektrifizierung unserer Alltagsbereiche zwangsläufig ändern, nach heutigem Stand ist dies aber noch nicht der Fall. Generell lässt sich sagen: Dynamische Stromtarife belohnen einen flexiblen und aktiven Umgang mit Stromverbräuchen, die über das durchschnittliche Maß hinausgehen.
In den meisten Fällen gilt: Um die Preisschwankungen exakt abrechnen zu können, benötigen Haushalte ein digitales, vernetztes Messsystem, auch bekannt als Smart Meter. Dieser übermittelt einmal täglich viertelstündliche Verbrauchsdaten an den Messstellenbetreiber.
Ab 2025 hat jeder Haushalt das Recht, den Einbau eines solchen intelligenten Stromzählers zu verlangen. Die jährlichen Kosten betragen für Haushalte bis 10.000 kWh Stromverbrauch 20 Euro und bei darüber hinausgehendem Jahresverbrauch 50 Euro. Die einmalige Installationsgebühr liegt bei 30 Euro. Sinnvoll kann zudem eine automatische Verbrauchssteuerung entsprechend den tagesaktuellen Strompreisen sein - Stichwort Smart Home -, wodurch allerdings weitere Kosten anfallen.
Der Markt bietet auch dynamische Tarife, für die Sie keinen Smart Meter benötigen. In diesem Fall kalkuliert der Energieversorger mit Ihren monatlichen Verbrauchswerten und dem durchschnittlichen Strompreis an der Börse. In der Regel fallen die Einsparungen dann jedoch niedriger aus. Alternativ gibt es Anbieter, die eigene Kommunikationsmodule für digitale Stromzähler bereitstellen. Allerdings wird dafür ebenfalls eine Gebühr berechnet.
Stiftung Warentest hat im April 2024 insgesamt 20 dynamische Stromtarife unter die Lupe genommen, 15 davon waren deutschlandweit verfügbar. Erstes Fazit der Tester: Die Preisunterschiede auf dem Anbietermarkt sind enorm - und das, obwohl alle Versorger auf dieselben Börsenstrompreise zurückgreifen. Zwischen dem teuersten und dem günstigsten Tarif wurde dennoch eine jährliche Preisdifferenz von mehr als 450 Euro festgestellt.
Stiftung Warentest hat die Zusatzkosten aller geprüften Tarife in Relation gesetzt, da der kontinuierlich schwankende Börsenpreis für alle derselbe ist. Dadurch wird sichtbar, welche unterschiedlichen Grundgebühren und Gewinnmargen die Anbieter einpreisen, und in welchem Tarif Kunden - unabhängig vom Verbrauch - die besten Konditionen erhalten. Neben dem Preis ist die Vertragslaufzeit ein wichtiges Qualitätskriterium, denn in dynamischen Tarifen ist Flexibilität ein hohes Gut. Hier zeigt sich beispielsweise, dass der preislich zweitplatzierte Anbieter, Eprimo, ebenso wie der Energiekonzern E.ON, eine einjährige Mindestlaufzeit voraussetzen. Das ist zu lang und geht auch anders, wie der günstigste Anbieter im Ranking, das Berliner Unternehmen Ostrom, beweist.
Anbieter | Tarif | Erstlaufzeit | Jahreskosten ohne Börsenstrompreis |
---|---|---|---|
Ostrom | Simplydynamic | 2 Wochen | 802 Euro |
Eprimo | Primaklima Dynamic | 1 Jahr | 814 Euro |
Energy Market Solutions | Entega Ökostrom dynamisch | 1 Monat | 838 Euro |
Tibber | Stündlich dynamischer Tarif | 2 Wochen | 856 Euro |
GP Joule Plus | Flex | 1 Monat | 857 Euro |
Vattenfall | Ökostrom Dynamik | 1 Monat | 860 Euro |
Enercity | Strom natürlich dynamisch | 6 Monate | 871 Euro |
E.ON | Ökostrom dynamisch | 1 Jahr | 887 Euro |
Stadtwerke Bochum | Stadtwerkeflex Ökostrom | 1 Monat | 920 Euro |
Plan-B Net Zero Energy | PBNZE dynamic IMS private | 1 Monat | 937 Euro |
Green Planet Energy | Ökostrom Flex | 1 Monat | 975 Euro |
Lechwerke | LEW Strom Flex Natur | 1 Monat | 1.259 Euro |
Drei weitere bundesweite Anbieter - Rabot Charge, Lumenaza und Awattar - liegen bei den jährlichen Zusatzkosten zwischen 754 und 817 Euro, berechnen aber zusätzlich einen verbrauchsabhängigen Aufschlag, so dass diese Preise nicht direkt in Relation gesetzt werden können.
Quelle: Stiftung Warentest, April 2024. Berechnungsgrundlage: Musterhaushalt in Berlin mit 3.500 kWh Jahresverbrauch.
Neben den üblichen Preisbestandteilen wird von einigen Anbietern dynamischer Tarife eine sogenannte Erfolgsbeteiligung erhoben. Das kann ein fester Aufschlag pro Kilowattstunde sein oder auch ein gewisser Prozentsatz der Ersparnis im Vergleich zum Grundtarif. Solche versteckten Kosten sind ein wichtiges Kriterium bei der Wahl des Anbieters. Das gilt auch für einen möglichen Wechselbonus, der weitere Preisvorteile bringen kann. Diesen sollten Sie jedoch nicht in Ihre langfristige Kalkulation einbeziehen.
Noch wichtiger als bei konventionellen Stromangeboten sind in dynamischen Tarifen kurze Vertragslaufzeiten. Die meisten am Markt verfügbaren Optionen haben einmonatige Mindestlaufzeiten bei Kündigungsfristen von zwei Wochen, bieten also eine entsprechende Flexibilität. Stellt sich ein gewählter Tarif oder sogar das ganze Modell als nicht ideal für Sie heraus, ist ein schneller Wechsel zu einem anderen Anbieter möglich.
Wichtig ist, wann, wo und wie unkompliziert Sie die Strompreise für den Folgetag abrufen können, damit Sie in der Lage sind, Ihren Verbrauch entsprechend zu planen. In der Regel geschieht dies über eine vom Anbieter bereitgestellte App bzw. einen speziellen Online-Service.
Sie sollten unbedingt abschätzen können, welche Möglichkeiten Sie zur Verlagerung Ihres täglichen Stromverbrauchs haben. Nur mit einer gezielten Verbrauchssteuerung lässt sich wirklich sparen.
Welche Stromverbraucher nutzen Sie? Ein Elektroauto? Eine Wärmepumpe? Verfügen Sie außerdem über einen Batteriespeicher? Derzeit profitieren insbesondere Haushalte mit hohen und flexibel steuerbaren Verbräuchen von dynamischen Stromtarifen.
Dynamische Stromtarife sind eine zukunftsorientierte und konsequente Antwort auf die zunehmend schwankende Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Energien. Sie entlasten das Stromnetz und verbessern die Klimabilanz - beides durch preisliche Anreize anstatt politischer Markteingriffe.
Verbrauchern bieten dynamische Tarife die Chance, ihre Stromkosten mittels Verbrauchssteuerung gezielt zu reduzieren. Das lohnt sich (noch) nicht für jeden Haushalt. Wer aber durch die Nutzung von Wärmepumpe, E-Auto und Co. einen deutlich erhöhten Stromverbrauch hat und zugleich die Möglichkeit, diesen flexibel zu verlagern, kann von dynamischen Tarifmodellen spürbar profitieren.