„Mit dem Online-Marktplatz enyway beginnt das digitale Energiezeitalter jenseits von Stadtwerken und Konzernen“, lautet die vollmundige Ankündigung der brandneuen Geschäftsidee von Heiko von Tschischwitz. Der Ökostrom-Vordenker war bereits vor 19 Jahren Mitbegründer des grünen Pionier-Unternehmens LichtBlick, dessen Führungsriege er unlängst verließ, um sich dem nun präsentierten Projekt zu widmen. Selbiges trägt den Titel „enyway“ und soll Strom erstmals „von Mensch zu Mensch“ vermarkten.
Strom von Mensch zu Mensch
Das Konzept: Private Stromerzeuger, also zum Beispiel Betreiber von Photovoltaik- oder Kleinwindanlagen, werden auf enyway zu Stromversorgern, indem sie ihre Energieüberschüsse direkt an Haushalte verkaufen. Die Verbraucher wiederum können über den Online-Marktplatz ihren persönlichen Lieferanten nach Preis, Region, Stromart oder ganz einfach nach Sympathie auswählen. Der Wechsel von der konventionellen Stromversorgung in das neue Modell, so das Versprechen, funktioniere einfach und komplikationslos: Stromkäufer – egal ob Eigentümer oder Mieter – entscheiden sich für den Stromverkäufer ihrer Wahl und schließen einen Vertrag mit ihm. Entscheidungshilfen bieten die persönlichen Profile der Verkäufer, die sich, ihre Anlagen und ihr Angebot online präsentieren. „Strom bekommt damit erstmals ein Gesicht“, heißt es in der Pressemitteilung von enyway.
Die Kosten für die Stromlieferung werden von jedem Verkäufer individuell festgelegt. In Zeiten, in denen mangels Sonne und Wind keine Energie produziert wird, erhalten die Käufer Ökostrom aus dem Markt, wodurch ihre Versorgungssicherheit gewährleistet wird. Alles in allem seien die Strompreise auf dem Online-Marktplatz, auch unter Hinzurechnung des Mitgliedsbeitrages, voll wettbewerbsfähig, sagen die Betreiber, weil die Verwaltungskosten der Energieversorger wegfallen würden.
Und noch etwas will der Privatstrom-Marktplatz bieten: Nämlich die Möglichkeit, in die Solar- oder Windkraftanlage eines bestimmten Stromverkäufers zu investieren. So können zum Beispiel Mieter ohne eigenes Dach oder Grundstück indirekt zu Selbstversorgern werden und obendrein eine Rendite für ihr Investment erzielen.
Zum Abschluss noch einmal der Vater des Gedanken, Heiko von Tschischwitz: „enyway ist eine Revolution. Wir schaffen neue Regeln für einen Energiemarkt, in dem die Menschen nicht mehr auf Konzerne und Stadtwerke angewiesen sind. Künftig wird es hunderttausende kleiner, privater Stromverkäufer geben, die ihre selbst erzeugte Energie ohne Umweg über einen Energieversorger direkt an ihre Nachbarn, Freunde und andere Menschen verkaufen.“
Meine Meinung: In ihren Grundzügen ist die Idee zwar nicht so neu und revolutionär, wie sie tut, aber sie ist sympathisch und subversiv. Konzernfreie Energieversorgung – quasi „power to the people“ im doppelten Sinn – ist ein prima Ansatz … der gleichzeitig viele Fragen aufwirft: nach der Preisgestaltung und dem Preisniveau, nach der Seriosität und Verlässlichkeit, nach der Unabhängigkeit Einzelner gegenüber dem Einfluss des Marktes usw. Mein hauptsächliches Problem ist aber folgendes: Egal ob SchwarmStrom, Blockchain (das internetweite Lieblingswort der Woche) oder eben der Online-Marktplatz für Privatstrom – all das scheint mir reichlich kompliziert gedacht und vielleicht sogar zu weit weg von Otto Normalverbraucher. Ökostrom-Enthusiasten mögen sich hier austoben können und wollen, Leute, die mit Strom in etwa so emotional verbunden sind wie mit der Margarine vom Discounter, dürften sich jedoch schwerlich begeistern lassen. Was der Akzeptanz der Energiewende wirklich guttut, sind simple und nachvollziehbare Konzepte. Einfach ausgedrückt: Ein Haus, das seinen eigenen Strom produziert? Ja! Ein Haus, dessen Strom von einer Reihe anderer Häuser produziert wird? Na ja.
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