Mal sollen sie kommen, dann wieder nicht: die bundesweit einheitlichen Netzentgelte. Für nord- und ostdeutsche Stromkunden ist das regional zum Teil massive Preisgefälle ein Dauerärgernis, für den Westen und Süden ein Strompreisgeschenk und für die Politik anscheinend ein großes (Wahlkampf-)Fragezeichen.
Nordost vs. Südwest
Nach bisheriger Regelung erheben die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber regional unterschiedlich hohe Netzentgelte. Die bis auf wettbewerbsbedingte Ausnahmen in der Industrie von allen Haushalts- und Gewerbekunden zu zahlende Gebühr macht inzwischen rund ein Viertel des Strompreises aus und stellt damit eine maßgebliche Kostenbelastung für die Verbraucher dar. Ein Grund für den allgemeinen Anstieg der Netzentgelte in der jüngeren Vergangenheit sind der im Zuge der Energiewende notwendige Netzausbau bzw. Entschädigungen für abgeregelte erneuerbare Energien aufgrund noch fehlender Durchleitungsmöglichkeiten. Hierin liegt auch einer der Faktoren für die regionalen Unterschiede bei den Netzgebühren. Gebiete mit hohem Netzausbaubedarf und hohen Quoten erneuerbarer Energien, wie beispielsweise der windstromreiche Norden und Osten der Bundesrepublik, werden von den Netzbetreibern entsprechend zur Kasse gebeten. Ein weiteres Kriterium für die Berechnung ist die jeweilige Bevölkerungsdichte einer Region. Die Gebühren fallen pro Stromkunde umso höher aus, je dünner ein Versorgungsgebiet besiedelt ist.
Ein besonderes Ärgernis – das bemängeln zumindest die betroffenen Bundesländer – ist der Umstand, dass nach bisheriger Regelung vor allem die Zugpferde der Energiewende bei den Netzkosten benachteiligt werden. Beispiel Schleswig-Holstein: Hier wird mehr Windstrom produziert als Richtung Süden durchgeleitet werden kann, weil Deutschlands Netzausbau der Ökostromerzeugung hinterherhinkt. Die Folge sind teure zusätzliche Leitungen sowie Entschädigungszahlungen an Energieerzeuger, die ihre Anlagen immer wieder abregeln müssen. Diese Kosten finden Schleswig-Holsteins Haushalte genau wie viele Verbraucher in den neuen Bundesländern in Form hoher Netzgebühren auf ihrer Stromrechnung wieder. Bei einer deutschlandweit einheitlichen Kostenverteilung, so besagt eine aktuelle Studie im Auftrag des dortigen Verbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, würden die Netzentgelte in Schleswig-Holstein um rund zehn Prozent sinken. Finanzielle Profiteure der Ungleichbehandlung sind gegenwärtig die Bundesländer im Westen und Süden, insbesondere Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.
Die Bundesregierung hatte mit Verabschiedung des novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Herbst letzten Jahres eigentlich zugesagt, ein einheitliches Netzentgelt einzuführen. Aus dem SPD-geführten Wirtschafts- und Energieministerium folgte unlängst die Absage an eine solche Angleichung (möglicherweise aufgrund der im Mai anstehenden Landtagswahl in NRW, wo die Industrie viele Millionen durch niedrige Netzentgelte spart). Dagegen wiederum protestierten die Mininsterpräsidenten aus Nord und Ost. Aktueller Stand der Dinge: Man „finalisiert“ derzeit den entsprechenden Gesetzentwurf, heißt es aus dem Ministerium. Eine Option – und wohl auch die wahrscheinlichste – ist eine schrittweise Angleichung der Netzentgelte über mehrere Jahre.
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