Man sollte meinen, die stetig wachsende Integration erneuerbarer Energien in Deutschland habe eine Art Vorbildcharakter für ganz Europa. In Wirklichkeit aber sind einige unserer Nachbarn derzeit eher über Ökostrom made in Germany verärgert. Schuld daran ist der zu langsam voranschreitende Netzausbau, der Stromumleitungen über das Ausland notwendig macht.
Zu schnelle Energiewende?
Das Hauptproblem der deutschen Energiewende besteht aktuell in einer zu großen Diskrepanz zwischen dem boomenden Zubau erneuerbarer Energien und den zu geringen Kapazitäten der bestehenden Netze. Beispielsweise produzieren Windkraftanlagen, die im Norden und mittlerweile auch im Osten Deutschlands wie Pilze aus dem Boden schießen, zwar jede Menge klimafreundichen Strom, dieser kommt aber schwerlich im Süden der Republik an, weil es an entsprechenden Trassen zur Durchleitung mangelt. Die Strategien zur Lösung des Problems muten simpel an: Deutschland benötigt insgesamt neue Stromautobahnen und speziell im Süden eine verstärkte Eigenversorgung aus Wind- und Solarkraft. Derzeit aber, so scheint es, überholt sich die Energiewende selbst, denn der Netzausbau wurde bereits vor Jahren verschlafen und lässt sich nicht von heute auf morgen realisieren.
Energieexperten, darunter der Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (dena), Stephan Kohler, fordern aktuell eine Entschleunigung beim Ausbau erneuerbarer Energien. „Es kann nicht sein, dass wir Photovoltaik und Windenergie zubauen, die man gar nicht mehr ins Netz integrieren kann“, so Kohler gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Derzeit sei man in der Zwangslage, Ökostrom aus Nord- und Ostdeutschland über Polen, Tschechien und Österreich umzuleiten, um ihn letztlich wieder im Süden der Republik einzuspeisen. Das allerdings stößt nicht gerade auf große Gegenliebe bei unseren europäischen Nachbarn, da die schwankende Ökostrom-Durchleitung aus Deutschland die dortige Netzstabilität gefährdet. Polen hat bereits angekündigt, solche unkontrollierten Stromflüsse künftig eindämmen zu wollen.
Die mangelnde Koordination im Stromverbund mit Deutschlands Nachbarländern ist allerdings nur eine Schieflage innerhalb der beschleunigten Energiewende. Bereits jetzt bleiben zeitweise bis zu 30 Prozent der Energie aus hiesigen Windparks ungenutzt, weil der Strom nicht weitergeleitet werden kann. Im kommenden Sommer wird mit einer ähnlichen Problematik bei der Photovoltaik zu rechnen sein. Sollte der überschüssige Strom dann auch noch auf Blockaden unserer Nachbarländer stoßen, sind Zwangsabschaltungen von Wind- und Solaranlagen zu befürchten. Solche Abregelungen müssen nach geltendem Recht allerdings entschädigt werden, was wohl letztlich die Verbraucher über den Strompreis tragen.
Foto © Pixelio, Rainer Sturm
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