Deutschland stellt Quartal für Quartal neue Ökostrom-Rekorde auf, wird nach derzeitigem Stand aber seine mittelfristigen energie- und klimapolitischen Ziele verfehlen. Und anstatt die inzwischen beträchtlichen Stromüberschüsse für andere Sektoren wie Wärme oder Mobilität nutzbar zu machen, werden sie terawattstundenweise ins Ausland exportiert.
Energiewende bleibt Stromwende
Im ersten Halbjahr 2019 deckten die erneuerbaren Energien 44 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland – ein Plus von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Das zeigen vorläufige Berechnungen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Beim neuen Ökostrom-Rekord hat vor allem das Wetter mitgespielt: Das gesamte erste Halbjahr brachte überdurchschnittliche Winderträge, vor allem im März blies es kräftig. Dazu sorgte der sonnige Juni für neue Solarstrom-Spitzen. Die Konsequenz: Zusammen bilden die erneuerbaren Energieträger die inzwischen größte Fraktion im deutschen Strommix und sind damit längst die Basis unserer Versorgung.
Damit sie das auch bleiben, muss sich allerdings einiges bewegen, sagt BDEW-Hauptgeschäftsführer Stefan Kapferer: „Der Ökostrom-Rekord ist eine erfreuliche Momentaufnahme, darf aber nicht über die tieferliegenden strukturellen Probleme hinwegtäuschen: Bei einem Weiter-so landen wir 2030 bei lediglich 54 Prozent erneuerbare Energien. Um das für den Klimaschutz notwendige 65-Prozent-Ziel der Bundesregierung zu erreichen, müssen wir bestehende Hemmnisse aus dem Weg räumen: Dazu zählen die Flächenbeschränkungen für Photovoltaik- und Windkraftanlagen an Land sowie die Ausbau-Deckel für Wind offshore und Photovoltaik außerhalb des Ausschreibungsregimes.“
Ein weiteres altbekanntes Problem: Deutschlands Energiewende bleibt eine Stromwende. Denn tatsächlich liegen wir außerhalb des Vorzeigesektors Strom beim Ausbau erneuerbarer Energien zurück. Für das von der EU ausgegebene Ziel von 20 Prozent bis 2020 müsste die Bundesrepublik, genau wie eine Reihe weiterer Mitgliedstaaten, noch zwei bis vier Prozentpunkte zulegen. Vor allem beim erneuerbaren Heizen und bei emissionsarmer Mobilität besteht noch massiver Handlungsbedarf.
Die Schieflage beim aktuellen Stand der deutschen Energiewende ist auch deshalb so brisant, weil grüner und grauer Strom made in Germany immer umfangreicher ins Ausland exportiert wird. Die bei entsprechender Witterung inzwischen drastischen Überkapazitäten haben laut Daten des Statistischen Bundesamtes dazu geführt, dass Deutschland im vergangenen Jahr etwa 50 Terawattstunden Strom mehr exportiert als importiert hat. Allein dieses Exportplus, so hat die Deutsche Welle unlängst vorgerechnet, würde ausreichen, um ganz Portugal ein Jahr lang mit Strom zu versorgen.
Man könnte also Folgendes annehmen: Entweder brauchen wir den ganzen Strom gar nicht – dann wäre das Warten auf einen Kohleausstieg 2038 wirklich absurd lang. Oder wir nutzen ihn nicht sinnvoll für unsere eigenen Klimaziele – dann sollte die Politik endlich mit dem ernsthaften Umstieg auf Elektroautos, Wärmepumpen und Co. beginnen, anstatt sich mit Bürgerinitiativen über Stromtrassen zu streiten.
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