Vor rund zehn Jahren war Projekt Desertec in aller Munde. Die Idee: Riesige Solarkraftwerke in Nordafrika und dem Nahen Osten sollten Sonnenstrom aus der Wüste bis nach Europa fließen lassen. Heute hat die Photovoltaik rund um den Globus eine deutlich höhere Akzeptanz, Verbreitung und Effizienz erreicht. Wird die Idee von damals damit überflüssig – oder erst recht interessant?
Was bisher geschah:
Vor einem Jahrzehnt galt Desertec als Leuchtturm der globalen Energiewende, wurde in seinen Anfängen sogar als „Apollo-Projekt des 21. Jahrhunderts“ gefeiert. Und tatsächlich klang die Vision vom sauberen Wüstenstrom für europäische Haushalte zunächst ebenso grün wie profitabel – dachten sich unter anderem Schwergewichte wie E.ON, Siemens und die Deutsche Bank und stiegen ins Boot. Nur, um es fünf Jahre später wieder zu verlassen und damit kentern zu sehen. 2014 zerstritt sich die Initiative, vor allem – das sagen die heute noch aktiven Verfechter der Idee – durch einen falschen Grundgedanken: Die Konzerne seien zu sehr darauf fixiert gewesen, Strom aus der Sahara nach Europa zu bringen, anstatt die Energie zunächst sinnvoll für lokale Märkte in Nordafrika bereitzustellen. Spätestens an der Problematik gigantischer Leitungen und Netze im Mittelmeerraum sei das Projekt dann gescheitert. Weitere Sargnägel waren der starke Gegenwind der französischen Atomlobby und die generell halbherzige politische Unterstützung aus Europa.
Und heute?
Desertec lebt tatsächlich noch, auch wenn sich Europa aus der ehemaligen Allianz weitgehend zurückgezogen hat. Beispielsweise sitzt von den deutschen Gründungsmitgliedern heute nur noch Innogy mit am Tisch. Allerdings wurden neue arabische und chinesische Partner bzw. Geldgeber gefunden. Überhaupt erlebt das Thema Wüstenstrom im Zuge der global boomenden Solarkraft eine Renaissance: Zahlreiche Staaten aus Nordafrika und dem Nahen Osten wetteifern inzwischen um die größten Solarparks der Welt. In Marokko, Ägypten und Abu Dhabi entstehen riesige Sonnenkraftwerke im Gigawattbereich, auch Tunesien, Algerien und Saudi-Arabien preschen mit teils staatlich verordneten Energiewende-Programmen vor. Desertec fungiert bei einigen dieser Projekte beratend.
Der Traum vom grünen Strom aus der Wüste ist also noch nicht ausgeträumt. Er mag geschrumpft sein, aber er ist auch ein Stück erwachsener geworden. Zum einen, weil die Idee heute lokaler und föderaler umgesetzt wird. Zum anderen, weil inzwischen neue technologische Möglichkeiten im Spiel sind. Power-to-X lautet das Zauberwort – und so könnte Sonnenstrom aus der Wüste in umgewandelter Form vielleicht doch noch irgendwann nach Europa kommen. Und sei es nur, um ein paar Brennstoffzellenautos anzutreiben.
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